Gebeine der Zarenfamilie weiterhin Gegenstand von Kontroversen

Die nähernde hundertjährige Gedenkfeier der Ermordung der russischen Zarenfamilie hat eine alte Kontroverse über die sterblichen Überreste der Zarenfamilie neu entfacht. Die Kirche ist uneins ob die seit 1979 von der Regierung aufbewahrten Knochen als authentisch angesehen werden können. So berichtet Yahoo News, via Agence France-Presse.

1918, In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918 wurde der russische Zar Nikolaus II und seine Familie von Bolschewiken ermordet. Die Kirche nimmt an, die Körper der insgesamt 11 Opfer wurden in einer Grube bei Ganina Jama im Uralgebirbe geworfen und kurz darauf verbrannt. Dort steht heute ein Klosterkomplex mit insgesamt 7 Kirchen. Allerdings wurden 1979 einige Kilometer entfernt Knochen entdeckt, die als die verschwundenen Leichen der Zarenfamilie identifiziert worden sind. Seit 1998 werden die Gebeine in der Peter-und-Paul-Kathedrale in St. Petersburg aufbewahrt, wurden aber auf geheiß des damals amtierenden Patriarchen Aleksei als „Unbekannte Verstorbene“ bestattet. In der Frage, ob es sich tatsächlich um die Zarenfamilie handelt oder nicht, ist die Kirche zwiegespalten. Kirchenautoritäten zeigen sich aufgrund „mangelnder Beweise“ agnostisch in der Authentizitätsfrage. Dies könne politische Gründe haben, so Roman Lunkin, Religionsethnologe an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er sieht darin seitens des Patriarchen eine Strategie, die konservativen Strömungen innerhalb der Kirche zu beschwichtigen. So wird er eine Prozession nach Ganina Jama anführen, den Ort, den die moderne Forensik als Grabstätte ausschließt. „Unter Patriarch Kirill wurde die Person des Nikolaus II zunehmend politisiert“, so Lunkin. Bereits in der Vergangenheit hat der russische Spielfilm „Matilda“, der den Zaren vermeintlich blasphemisch darstellt, zu Brandangriffen seitens fundamentalistischer Gruppierungen geführt, Orthodoxia-News berichtete. Von 1981 bis 2000 vollzog sich die Heiligsprechung der ermordeten Zarenfamilie in der Orthodoxen Kirche, jedoch ebenfalls nicht ohne Kontroverse. Die Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland  verehrt die Zarenfamilie als Märtyrer, die aufgrund ihres Glaubens verfolgt und getötet wurden. Das Patriarchat in Moskau bezeichnet sie dagegen vorsichtiger als „Strastoterpetsi“, Erdulder von Leidenschaften, die heiligmäßig die Torturen erduldeten, diesen jedoch nicht explizit aufgrund ihres Glaubens Opfer wurden. (sb)