Der Film der Russland spaltet

Aktuell befindet sich Russland zwischen Kultur und Kirche. Der Film „Matilda“, der die Romanze zwischen dem russischen Zaren und der polnischstämmigen Tänzerin Matilda zeigt, erfährt starke Kritik von ultrakonservativen russischen Bürgern. Die Kritik ist so intensiv, dass es sogar Anschläge auf den Regisseur und seinen Anwalt gegeben hat. Was ist der Auslöser für diesen Kampf und ist er in der orthodoxen Kirche begründet?

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Eine junge und attraktive Tänzerin übt einen verführerischen Einfluss auf den russischen Zaren Nikolaus aus. Allerdings ist ihm eine Bindung durch seine gesellschaftliche Verpflichtung, eine höher gestellte Frau zu heiraten, unmöglich. Stattdessen gehen sie eine geheime Liebesbeziehung ein. Dieses Bild des heiligen Zaren Nikolaus wird von russischen Orthodoxen entschieden abgelehnt. Ein Heiliger darf solche Dinge nicht tun, so schallt es aus den Kirchen. Hier stehen historische und kirchliche Fakten gegenüber.

Die Konsequenzen waren unberechenbar: Ultrakonservative zündeten öffentlich Autos und Studios an und bedrohten den Regisseur. Die Polizei griff anfangs kaum ein. Nachdem jedoch das russische Kultusministerium attackiert wurde, das die Freigabe für den Film erteilt hatte, schaltete sich die Polizei ein. Nun wurden einige Aktivisten, insbesondere der Anführer einer ultrakonservativen Gruppierung, verhaftet.

Kann ein Heiliger sündigen?

Zar Nikolaus wird im Film wegen Ehebruchs mit der Tänzerin Mathilda als sündhaft dargestellt, wodurch der Status des Heiligen Zaren in Frage gestellt wird. Die Vorstellung in der Bevölkerung, dass ein Heiliger niemals gesündigt hat, besonders wenn es sich um einen bedeutenden Heiligen der Kirche handelt, ist jedoch irreführend. Es wird oft vergessen, dass auch die Nachfolger Jesu, darunter sogar einige seiner engsten Vertrauten wie Matthäus und Petrus, Sünder waren. Denn der erste war von Beruf Zöllner. Es war bekannt, dass Zöllner Wucherzinsen verlangten und dadurch Reichtum erwarben. Sie schadeten den Armen noch mehr, indem sie ihnen meist alles wegnehmen. Simon Petrus gestand Jesus sogar, dass er ein sündiger Mensch sei. Doch genau diese Bereitschaft, seine eigenen Taten einzugestehen und Reue zu zeigen, machte Petrus zum Nachfolger Christi und Heiligen der Kirche. Eine weitere wichtige Persönlichkeit war Saulus, der später zum Paulus wurde. Er war einer der größten Verfolger von Judenchristen seiner Zeit.

Die engsten Vertrauten Christi, mit denen er aß und trank, sündigten während ihrer Reisen mit dem Herrn – das ist Ausdruck menschlicher Fehlerhaftigkeit. Dennoch wurden sie von Gott nicht abgelehnt, sondern er zeigte ihnen Barmherzigkeit. Keine dieser Taten mindert jemals das Ansehen der Heiligen. Vielmehr wurden sie durch ihre Rückkehr zum Glauben an Gott bekannt. Auch der Zar verliert durch seine Verfehlungen nicht an Bedeutsamkeit, er gilt weiterhin als Beschützer und Märtyrer der Orthodoxie.

Nationalistische Orthodoxie

Das größte Konfliktpotenzial besteht im Nationalismus, da ein konservativer russischer Orthodoxer es für unmöglich hält, dass ein Nationalheld und Heiliger der Kirche ein Sünder war. Insbesondere der Status als Nationalheld und letzter großer Monarch Russlands betont die Stellung von Nikolaus besonders stark. Die meisten Monarchisten gehören zum konservativen Lager und trauern noch immer dem Zarentum nach, indem sie versuchen, dieses wiederherzustellen.

Sie zeigen keine Scheu davor, Putin als neuen russischen Zaren darzustellen, insbesondere wenn sich der russische Präsident in Nähe des russisch-orthodoxen Oberhaupts befindet. So manifestiert sich das wahre Zarentum, das zaristische Russland, welches eng mit der orthodoxen Religion verbunden ist.

Kultur vs. Kirche?

Auch das russische Kultusministerium trägt Verantwortung für diesen Konflikt. In Russland zeigt sich ein Trend zur konservativen Orthodoxie, was es Andersdenkenden erschwert, ihre Meinung frei zu äußern. Die Meinungsfreiheit ist in Russland kein bekanntes Gut. Allerdings möchte der russische Staat die Meinungsfreiheit schützen und fördern. In der Bevölkerung gibt es jedoch Widerstand gegen diese Form der Meinungsfreiheit.

Die Kirche mischte sich kürzlich in den Konflikt ein und kritisierte den Film ebenso. Diese Handlung hat die russische Bevölkerung weiter aufgestachelt. Es wäre jedoch angebracht, das Gegenteil zu tun, um das Gewaltpotenzial zu minimieren. Kritik seitens der Kirche und der Gesellschaft ist wertvoll, jedoch wird niemandem durch eine gewaltsame Auseinandersetzung geholfen.

Alexander Radej