Das Christentum in Japan

Japan zeigt sich als ein weltoffenes und modernes Land. Die Orthodoxe Kirche des Landes ist ein Beispiel für den interkulturellen Dialog. Dabei war dieser Inselstaat einst für 200 Jahre von der Außenwelt isoliert und das Christentum im Land verhasst. Das Verhältnis Japans zum Christentum spiegelte die internationalen Beziehungen des Inselstaates wieder. Bis zur erzwungenen Öffnung des Landes durch die USA, durften nur die Seemächte Portugal und Holland zeitweise in Handelsbeziehungen mit Japan treten. Kurz nach der Öffnung fand ein russischer Mönch seinen Weg ins Land der Aufgehenden Sonne und mit ihm das Orthodoxe Christentum.

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Das Christentum hatte in Japan das Image einer anspruchsvollen Religion, die nur innerhalb der intellektuellen und höher gebildeten Mittelschicht Zuspruch fand. Die ersten protestantischen Missionare machten bewusst den Stand der Samurai zu ihrer Zielgruppe, denn sie zählten zu der gebildetsten Gesellschaftsschicht und hatten im Gegensatz zu Bürgerlichen, keine Bindung zu ihrer Volksreligion. In den 1880er und 90er Jahren stammten nur 5% der Bevölkerung aus Samuraifamilien. Diese machten aber 30 % der Christen aus. Die Samurai betrachteten den Buddhismus und Shintoismus als „Religionen der niederen Klassen“. Diese Abwertung der traditionellen japanischen Religionen trug dazu bei, dass das Christentum als „Religion der gehobenen und geschlossenen Gesellschaften“ attraktiver wurde.

Parallelgesellschaft

Das römisch-katholische Christentum kam 1549 mit portugiesischen Missionaren nach Japan. Es war den Japanern bis dahin unbekannt und sie hielten es für eine neue Religion aus den portugiesischen Kolonien in Indien. Missionare begannen den katholischen Glauben zu predigen und zogen Interessenten an. Die Konvertiten nahmen bei der Taufe portugiesisch-christliche Namen an, wodurch die Missionare zunehmend unter Verdacht gerieten, die westliche Kultur in Japan verbreiten zu wollen und die öffentliche Ordnung zu stören.  Fürst Oda Nobunaga, der das Land unter zentraler Führung vereinte, gewährte den christlichen Missionaren zu predigen und ihren Glauben frei auszuleben. Unter seinem Nachfolger Toyotomi Hideyoshi wuchs dagegen das Misstrauen gegenüber den Christen erneut und christliche Repräsentanten wurden mit politischer Verfolgung konfrontiert. Unter anderem wurden im Jahr 1597 im Zuge der Verfolgung 26 katholischen Christen hingerichtet. Dieses Ereignis ist Beispiel einer Epoche, die als Zeit der „verborgenen Christen“ (jap: „kakure kirishitan“) in moderner Literatur und Film oft aufgegriffen wurde.

Die Verfolgungen und Hinrichtungen von Christen setzte sich bis in die Edo-Zeit fort (1608-1868). Die verbliebenen Christen sollten ihren Glauben abschwören. Viele praktizierten ihre Religion aber weiterhin im Verborgenen. Sie beteten heimlich und funktionierten ihre ehemaligen Schreine und Tempel unauffällig zu christlichen Kapellen um und christliche Symbole und Ikonen wurden als „einheimische“ religiöse Objekte getarnt. Es gibt beispielsweise Darstellungen von Boddhisatven, Menschen, die nach der Buddhistischen Lehre die Erleuchtung erlangt haben, die sich bei genauerer Betrachtung als Marienstatuen entpuppen. Tarnung war überlebenswichtig, denn zu dieser Zeit haben Fürsten, Samurai als Auftragsmörder auf Christen angesetzt. Aufgrund der Tatsache, dass das Tragen einer Waffe nur Samurai gestattet war, vermieden die Christen jede Konfrontation mit ihnen.

Eine ungewöhnliche Freundschaft

1853 öffnete sich das Land der Außenwelt. Es wurden internationale Häfen errichtet und diplomatische Beziehungen aufgenommen. Ein russischer Mönch namens Nikolai, geboren Iwan Kassatkin, kam zu der Zeit nach Japan und arbeitete dort für das russische Konsulat. In Eigeninitiative und entgegen dem Willen des Konsuls, begann er seine Missionstätigkeit. Christen erlebten zu dieser Zeit eine Phase der Religionsfreiheit, in der Sie ihren Glauben im privaten Rahmen ausleben durften. Das öffentliche Predigen und anwerben neuer Gläubiger schürte dagegen das weiterhin bestehende Misstrauen gegenüber Ausländern und die Angst vor kultureller Verfremdung im Land. 1865 wurde der Samurai Takuma Sawabe beauftragt Nikolai zu ermorden. Dem Mönch gelang es aber, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Der Samurai interessierte sich zunehmend für die fremde Religion und ließ sich im April 1868, zusammen mit zwei Freunden, von Nikolai taufen.

Takuma Sawabe, der den Namen Pawel (Paulus) annahm, blieb nicht der einzige Samurai, der sich für das orthodoxe Christentum interessierte. Wie die protestantischen Missionare vor ihm, wusste Nikolai, wie man junge und orientierungslose Samurai für sich gewinnt und ihnen eine neue Perspektive bietet. Die Gemeinde wuchs und mit finanzieller Unterstützung aus Russland, ließ Nikolai bald eine orthodoxe Kirche in Tokyo errichten. Pawel wandte ein, das Geld humanitär zu nutzen. Nikolai war allerdings der Meinung, dass es nachhaltiger sei, in eine Kirche zu investieren, um so öffentliche Präsenz zu bewahren.

Kirche und Gesellschaft

Der orthodoxe Tempel, heute von den Einwohnern von Tokyo „Nikolai-Do“ genannt, war Zeit seiner Errichtung 1891 das höchste Gebäude der Hauptstadt und überragte sogar den Kaiserpalast. Zu der Zeit genoss das Christentum das Image einer „westlichen“, „europäischen“ Religion und wurde dementsprechend mit Moderne und Fortschritt assoziiert. Menschen, die aus Randgruppen stammen, sahen in der Kirche einen Ort der Zugehörigkeit und eine Chance für vertikale Mobilität. Ehemalige Samurai, die bald die Mehrheit der Priesterschaft darstellten, und wohlhabende Gemeindemitglieder, investierten ihr Wissen und Geld in die Nachbarschaft der Kirche. Sie unterrichteten Fremdsprachen oder führten westliche Feldbaumethoden ein, wodurch die Regierung ein positiveres Bild vom Christentum bekam.

Die liturgischen Gesänge wurden auch außerhalb der Gemeinden geschätzt und der orthodoxe Kirchenbau erinnerte die Bevölkerung an ihre eigenen Tempel und Schreine. Die Tatsache, dass die meisten Würdenträger in der Kirche japanischstämmig waren, begünstige den Dialog und die Integration innerhalb der japanischen Gesellschaft. Die orthodoxe Kirche gilt bis heute als offen gegenüber der Kultur und Bedürfnisse der japanischen Bevölkerung. Sie stellte ein diplomatisches Verbindungsglied zwischen dem orthodoxen Russland und dem shinto-buddhistischen Japan dar. Diese Rolle behielt sie während dem russisch-japanischen Krieg bei. Als der Krieg 1904 ausbrach, wurde Nikolai geraten, Japan zu verlassen. Er verzichtete und blieb in Tokio, was von den orthodoxen Christen heute als weise und mutige Entscheidung betrachtet wird. Nikolai verstarb am 16. Februar 1912. Er hinterließ Übersetzungen liturgischer Texte ins Japanische, sowie eine Reihe wegweisender Theologen und Ikonographen, die von ihm persönlich ausgewählt und gefördert wurden. Die Japanisch-Orthodoxe Kirche ist heute mit etwa 30.000 Mitgliedern eine relativ kleine Kirche, die aber seit ihren Anfängen Beispiel ist, für einen positiven Dialog und Austausch zwischen Religionen und Kulturen.

Stefan Barjaktarevic