Ein Orthodoxer auf dem Weihnachtsmarkt
Es ist Vorweihnachtszeit und ich traue mich das erste Mal auf einen Weihnachtsmarkt. Als orthodoxer Christ sind mir diese Art von Märkte relativ unbekannt, aber trotzdem habe ich den Mut mich in die Menschenmenge hinein zu bewegen.
„Es ist der erste Advent, wie ihn die Christen hier nennen.“ sprach ich und schaute auf meinen deutschsprachigen Kalender, auf dem der heutige Tag rot markiert ist. Die Weihnachtsmärkte öffneten bereits in einigen Städten vor Wochen. Während ich weiter auf diesen Kalender starre, wollte ich wissen, wie es auf diesem Weihnachtsmarkt ist. Ich faste schließlich und in der Arbeit erzählen mir meine immer wieder von den leckeren Plätzchen, die in ihren Mündern zergehen und dem leckeren Glühwein, der mir von innen eine wohlige Wärme schenkt.
Selbst, habe ich mir nie die Zeit genommen auf einen Weihnachtsmarkt zu gehen. Aber heute ändert sich das! Die Neugier treibt mich an. Ich will das rege Treiben auf den Straßen und das Lachen der fröhlichen Menschen sehen. Also ziehe ich mir meine dicken Winterschuhe an, knüpfe meinen flauschigen Wollmantel zu und setze die Mütze auf. Ach halt, den Schal hätte ich fast vergessen. Also kehre ich noch einmal in mein Haus zurück und nehme den Schal mit. Man weiß ja nie, wie windig es draußen ist, gerade jetzt wo die Schneeflocken mir zeigen, wie der Wind über die Straßen peitscht.
Auf dem Weg in die Innenstadt setze ich mich in der Bahn. Ich rieche einen Duft, welcher mir in die Nase steigt. Würzig und mild, mit Alkohol vermischt. Kurz dachte ich „Hat hier jemand einen Glühweinstand aufgemacht?“, als eine ältere Frau nach einem Sitzplatz fragt und der junge Mann vor mir aufsteht und der alten Dame seinen Sitzplatz anbietet. Gleichzeitig entdeckte ich auf dem Boden einen Fleck, der klebrig war. Wahrscheinlich von Weihnachtsmarktbesuchern, dachte ich mir. Na ja es sind ja nur meine Schuhe, die dreckig werden, das wird sich draußen abtragen. Trotzdem stellte ich mir die Frage, warum man den Glühwein nicht an diesen Ständen draußen genießt und ihn in der Bahn trinken muss. „Seltsam!“, denke ich mir.
Endlich angekommen, tummeln sich die Menschen in den U-Bahn Stationen, um auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Viele mit roten Weihnachtsmannmützen, die mir von der Coca-Cola Werbung bekannt sind. Ich halte sie für niedlich, verstehe aber nicht, woher dieser Brauch kommt. Wen symbolisiert es? Einen dicken, weißbärtigen Mann, welcher einen Lastwagen durch die Gegend fährt und eine Stadt zum Leuchten bringt? Ich denke nicht weiter daran und setze meinen Weg fort.
An der Oberfläche angekommen sehe ich bereits die ersten Stände. Bratwurstgeruch kommt mir entgegen und ich sehe Menschen unbeholfen an ihren Bratwurstbrötchen knabbern. Sie neigen ihren Kopf, damit der Ketchup nicht ausläuft, aber es gelingt ihnen selten. Immer wieder tropft es hinunter und voller Angst beugen sie sich nach vorne, als ob sie einen Schlaganfall erleiden, und versuchen ihre Kleidung vor den roten, hässlichen Flecken zu retten.
Ich stelle mir überhaupt die Frage: Wie kann in der Fastenzeit überhaupt Fleisch gegessen werden? Das war zu Hause nie so, aber hier auf der Straße? Dann fällt mir plötzlich ein: Katholiken haben keine Weihnachtsfastenzeit. Das jedenfalls vermittelten mir immer meine katholischen Freunde, wobei ich mir immer die Frage stellte, ob sie selbst an das Glauben was sie mir erzählen. Aber es störte mich nicht, dass Menschen Fleisch aßen. Warum denn auch? Nicht jeder muss fasten, nur der der möchte, sagte mir mein Priester immer wieder.
Auf dem Weg weiter in die Menge hinein, wurde mir plötzlich klar, wie eng es wurde. Plötzlich stießen Menschen von links und dann von rechts gegen mich, schauten mich böse an und ihnen ging wahrscheinlich, genau wie mir, durch den Kopf, warum sie denn nicht aufpassen konnten. Voller Hektik drängte sich ein Mann vor mich und kam zum Stehen. Um ein Haar hätte ich ihn auf die Hacken getreten und Ärger, das wollte ich wirklich nicht haben. Die Situation in der Menschenmenge ist mir schon stressig genug.
Der nächste Stand war menschenleer. Ich schaute hinter die Theke, wo sich das Essen an das Plexiglas schmiegte und mir eine Frau mit einer Schürze bekleidet gestresst ins Gesicht ein „Ja bitte?“ brüllte. Ich erschrak. Damit habe ich gar nicht nicht gerechnet. Nach einem kurzen Blickaustausch und einem „ich schaue nur“ nickte die Frau und verschwand zum nächsten Kunden. Hinter der Vitrine lagen tausende kleine gebrannte Mandeln. Der Geruch, dieser süß-rauchige Duft, ging mir durch die Nase. Ich dachte mir dabei „ist das Fastengerecht?“, aber dann entschied ich mir zu entsagen, denn ich wollte schließlich standhaft bleiben und auf Süßigkeiten verzichten.
Also ging ich weiter und bewegte mich, durch die Menschen die sich dicht an mich drängten, schwankend voran. Hier ausweichen, da ausweichen, langsam hatte ich den Dreh raus. Es war eine Art hektische Harmonie. Wenn man sich darauf einließ, konnte man mit den Menschen um sich herum interagieren und sich ohne größere Zusammenstöße fortbewegen. Links und rechts erstreckten sich die Handwerker mit Holzkellen und Holzlöffeln, die aus Olivenbäumen geschnitzt wurden oder dufteten Kerzen. Aber was ist das? Plötzlich türmten sich in einem Laden Buddhastatuen auf. Ich schaute mir die Statuen genau an. Die, meist mit zwei erhobenen Fingern dasitzenden Figuren, schauen mich an und ich stelle mir noch einmal die Frage, warum diese Statuen auf einem Weihnachtsmarkt sind? Mir erzählten meine Freunde immer von einem christlichen Weihnachtsmarkt, doch diese Statuen waren selbst mir in der katholischen Kirche fremd. Die haben sonst immer komische Statuen, die ich meist nicht erkennen kann. Aber Buddha?
Nichtsdestotrotz ging ich weiter, um mir nicht noch mehr Fragen über die Bräuche der Katholiken zu stellen, die mich schon genug verwirrten. Am nächsten Stand sah ich wieder eine Kuriosität: Schmuck. Aber nicht irgendein Schmuck. Pentagramme, „T’s“ in Form eines Hammers oder Totenköpfe. Bei den Totenköpfen dachte ich in erster Linie an die orthodoxen Mönche, die Totenköpfe auf ihrer Kleidung eingenäht hatten. Doch dann merkte ich zunehmend, dass sie was anderes symbolisierten, was ich nicht verstand, nämlich Metal-Musik. Neben den Totenköpfen und Pentagrammen lag dann ein kleines Kreuz. Als ich es betrachtete, merkte ich, dass hier doch noch etwas Christsein vorhanden war. Eigentlich wollte ich es kaufen, aber als ich in mein Portemonnaie sah, sah ich nur läppische 5 Euro herumflattern. „Schade“ dachte ich mir und ging erst mal weiter.
Als ich an einen weiteren Stand mit vermeintlichen Buddhastatuen vorbeiging, schaute ich noch mal ganz genau hin und entdeckte, dass es sich um Häuser, mit Ochs und Esel handelte und zwei Menschen die sich um… warte mal, ist das die Geburtsszene? Ich gehe in diesen Laden und die Menschen sprechen mich mit einem merkwürdigen Akzent an, den ich nicht kenne. Dann frage ich einen der Männer, worum es sich bei diesen Krippen handelt. Er schaute mich erst mal ungläubig an und bemerkte dann, dass ich wirklich keine Ahnung habe. Also erklärte er mir die Krippe. Es handelt sich hierbei um die Geburt Christi. Maria und Josef übernachten in einem Stall, wo eine Krippe aufgestellt wurde, um das Jesus Kind hineinzulegen. In einem Stall ist es, normal Tiere zu halten, deshalb Ochs und Esel. Meine Verwirrung ist groß, denn ich kannte die Weihnachtsgeschichte anders. Christus ist doch in einer Höhle geboren worden und die Krippe war doch eigentlich ein Sarkophag, der zu einer Futterkrippe umfunktioniert wurde. Ich stellte aber keine Fragen und akzeptiere die halbherzige Erklärung des Schreiners. Andere Länder andere Sitten.
Ich bedankte mich und ging hinaus auf die kalte Straße. Die kleine Heizung in dem Schuppen hatte mir gutgetan, nun fror ich wieder. Und wieder kam mir dieser beißende Glühweingeruch in die Nase. Kein Wunder, denn genau gegenüber schenkten zwei junge Herren Glühwein aus. Links daneben gleich kandierte Äpfel oder in Schokolade gehüllte Bananen. Ich würde so gerne was davon haben, aber ich bleibe stark. Selbst wenn ich Familien mit diesen Schockoladenspießen sehe, die sie versuchten zu genießen. Hingegen wurde es ein klebriges Durcheinander und so wirklich glücklich sahen sie dabei nicht aus. Trotzdem bin ich neidisch!
Als ich weiter durch die Gänge schlendere und mich freue, dass die Menschenmengen abnehmen, rieche ich einen weiteren wohltuenden Geruch. Er kommt mir bekannt vor. Ich folge dem Duft und komme zu einem Weihrauchstand an. Noch vom Duft benebelt, sehe ich plötzlich in der hinteren Ecke des Verkaufstandes Buddhastatuen. Ich bin durchaus verwirrt. Ein bekannter Duft und keine Christusikonen. Meine Enttäuschung steht mir ins Gesicht geschrieben. Warum steht hier keiner mit Christusikonen, Gebetkettchen oder Weihrauch aus irgendeinem Athoskloster? Mit Fragen beladen entferne ich mich von dem Stand, da ich sorge habe für einen Buddhisten oder Ähnliches gehalten zu werden.
Kaum gehe ich über die Straße, erstreckt sich plötzlich ein riesiger Baum vor mir. Ich fragte mich, ist, dass der Weihnachtsbaum über den alle lästern? Jedes Jahr lese ich in den Nachrichten oder in den Facebookposts meiner Freunde, wie grässlich der neue Baum doch sein soll. Stattdessen beobachte ich einen wundervollen, prächtigen Weihnachtsbaum, der ein Denkmal der Stadt sein könnte. Als ich näher herantrete, sehe ich, wie der Baum sich in die höchsten Höhen erstreckt und das Rathaus überschattet.
Während mir die Faszination über diesen großen Baum ins Gesicht geschrieben steht, erschallt neben mir ein lauter Gesang und ich bewege mich zu den engelsgleichen Stimmen hin. Der Gesang ist so wundervoll und voller Neugier dränge ich mich durch die Massen bis ich endlich gefunden habe wonach ich gesucht habe. Eine Krippe, in der ein ganzer Chor steht und singt. Ich versuche zu erkennen, was sie singen und summe in meinem Kopf mit. Plötzlich merke ich, wie mir warm ums Herz wird und die Menschen um mich herum auf diesen Chor schauen. Familien halten sich an den Händen und Paare im Arm. Sie genießen das kurze aber doch sehr emotionale Geschehen. Vor Überwältigung schießen mir plötzlich Tränen in die Augen. Neben mir steht eine junge Familie, die mitsingt. Ich bin voller Freude, denn ich merke nun, wie die Menschen voller Vorfreude auf Weihnachten sind. Voller Inbrunst singt der Chor die letzten Strophen des Liedes und geht dann von dannen. Die Menschenmenge löst sich langsam auf und der wundervolle Augenblick ist vorbei.
Als ich mich selbst auf den Weg nach Hause begebe, sehe ich noch einmal den Stand mit der Frau, die mich zuvor noch anschrie. Ich ging zu ihr, lege ihr meine letzten 5 Euro auf den Tresen und sage „einmal gebrannte Mandeln bitte!“. Ich dachte mir, auch Mandeln können eine Fastenspeiße sein, kein Fleisch, keine Milch. Als sie mir das Rückgeld geben möchte, sage ich „nein bitte, nehmen Sie es als Trinkgeld.“, dann ging ich hinfort.